Von der Lebensweise der Inuit tief beeindruckt, unternahm Robert J. Flaherty Anfang des 20. Jahrhunderts mehrere Expeditionen in die Arktis. Zunächst beschrieb er den Alltag der Inuit in Reisebüchern, bis er 1913 begann das Leben auch filmisch zu dokumentieren. In drei Jahren entstanden 9.000 Meter Film, den Robert J. Flaherty, zurück in seinem Haus in Toronto, schnitt und für Vorführungen vorbereitete. Als der Film fertig verpackt auf den Versand wartete, fiel Flaherty eine Zigarette in die am Boden liegenden übriggebliebenen Filmschnipsel. Das gesamte Rohmaterial sowie der fertige Film gingen in Flammen auf. Der Dokumentarfilmer ließ sich jedoch nicht entmutigen und kehrte 1919 und 1920 in die Arktis zurück, um die Kultur der Inuit erneut filmisch festzuhalten. Das Ergebnis war wegweisend für die Entwicklung des Dokumentarfilms und begeisterte ein weites Publikum. Jedoch stieß die Vorgehensweise Flahertys später auch auf deutliche Kritik. Der Film mit dem Titel Nanook of the North zeigt nicht allein authentische Aufnahmen. Für die Dramaturgie des Filmes nutze Flaherty ein spielfilmartiges Narrativ sowie er romantisierende Bilder der Lebensweise der Inuit bewusst inszenierte. In diesem Ansatz spiegelt sich ein generelles Problem der Ethnologie wieder. Es stellt sich die Frage, ob fremde Kulturen objektiv dargestellt werden können oder ob es sich bei ethnographischen Arbeiten nicht letztlich immer nur um eine Konstruktion des „Anderen“ handelt. Für Nanook of the North lässt sich die Frage deutlich beantworten. Eine authentische ethnographische Repräsentation ist nicht gegeben. Dennoch hat der Film eine inspirierende Wirkung entfaltet, die bis heute anhält. Nachdem die beiden Musiker Stefan Wesołowski and Piotr Kaliński vor einigen Jahren auf dem Sopot Film Festival live zu Flahertys Aufnahmen improvisierten, entstand das nach dem Filmtitel benannte Projekt Nanook of the North. Nun erscheint das gleichnamige Album. Das Resultat ist eine fabelhafte Komposition akustischer und elektronischer Klanglandschaften, die die kalte sowie brutale und doch erhabene Atmosphäre der Arktis einfängt.
Robert J. Flaherty – Nanook of the North: